
An dieser Stelle geht mein besonderer Dank an
Herrn Dr. Gerhard Blaschke, der mir gestattet hat,
die Daten aus seiner Abschlussarbeit 1953 an der Mittelschule Dornum
zum Thema
"Die Privatmittelschule Dornum" zu verwenden.

Aquarell:
Gerhard Blaschke
Immer lauter wird im
deutschen Bundesgebiet der Ruf nach Mittelschulen. Man fordert, statt der
550 vorhandenen mindestens doppelt soviel einzurichten. Tausende, die von
2220 höheren Schulen des Bundesgebietes kommen, warten vergeblich vor den
Hörsälen der Universitäten; während die Absolventen der Mittelschulen
ausnahmslos in Betrieben untergebracht werden können. Auch der
niedersächsische Landtag ist der Ansicht, daß es entschieden zu viel
höhere, dagegen zu wenig Mittelschulen gibt. Der Überhang an höheren
Schulen bringt es mit sich, daß viele Eltern ihre Kinder einer
Schulbildung zuführen, die ihren Berufsaussichten und -absichten nicht
entspricht. Die Mittelschule aber steht als eine selbständige Schulart
zwischen Volksschule und höherer Schule und trägt auch eigenen Charakter.
Als breite Mittlerschaft steht sie zwischen dem theoretischen Planen
einerseits und dem praktischen Ausführen andrerseits. Sie verbindet
erhöhte Leistungen mit geringen Kosten und entspricht einem dringen
Bedürfnis des Kultur- und Wirtschaftslebens. Dieses ist ein Grund, weshalb
in Dornum der Gedanke lebt, einer Mittelschule Bahn zu brechen.
Ein anderer und wichtigerer Grund wird durch die Lage des Ortes hervorgerufen.
Der Flecken Dornum ist von seiner Kreisstadt Norden - sie besitzt eine
Mittelschule - fast 20 km entfernt, von der Mittelschulstadt Esens etwa 15
km. Ein Schüler aus Dornum wird nun z.B. zur Mittelschule nach Norden
(Gräfin – Theda - Schule) geschickt. Um 6.15 Uhr etwa fährt sein Zug. Das
heißt, er muß, wenn er sich nicht abhetzen will, um 5.00 Uhr aufstehen. In
Norden angekommen, wartet er bis zum Schulbeginn. Die Schule ist aus.
Wiederum eine Stunde Wartezeit bis zur Abfahrt des Zuges. Endlich, frühestens um 15.30 Uhr, ist er wieder zu Hause. Das bedeutet:
Erstens verspätetes Mittagessen! Dann soll der Schüler noch Kraft und
Energie für die Erledigung seiner Schulaufgaben besitzen.
Dieser Fall wird doppelt schwierig, wenn wir ihn auf die Bewohner der
Deichdörfer (Dornumergrode, Dornumersiel, Westeraccumersiel, Neßmergrode,
Neßmersiel) beziehen. Bedenken wir die Anfahrt bis zur Bahnstation nach
Dornum, die fast ausschließlich mit dem Fahrrad oder im Winter gar zu Fuß
gemacht werden muß! Und dieses noch bei schlechtem Wetter! Wenn dabei die
Schuljugend nichts an geistiger und körperlicher Schaffenskraft einbüßt,
so ist das ein Wunder.
Ein weiterer, vielleicht der wesentliche Grund für die Gründung einer Mittelschule in Dornum ist, den Schulbesuch für begabte
Schüler aus Kreisen der Flüchtlinge und Minderbemittelten zu ermöglichen.
Denn wie viele Eltern gibt es, die ihren Kindern gern eine weiterführende
Schulausbildung zuteil werden lassen möchten, aber die Preise für die
Schülerfahrten nicht bezahlen können.
Außerdem will man versuchen, der Landflucht der Jugend auf vorbildliche
Weise entgegenzutreten, und die überfüllten Norder Schulen entlasten.
Dieses alles sind bestimmt Voraussetzungen, welche die Existenz einer
Mittelschule in Dornum voll berechtigen. Die Notwendigkeit einer
Mittelschule scheint den meisten auch einzuleuchten. Es ist sogar der
dringende Wunsch vieler Eltern und Erzieher, daß die Möglichkeit einer
weiterführenden Schulbildung in Dornum geschaffen werde.
Jetzt kommt es nur darauf an, wer diesen Gedanken in die Tat umsetzt. Dazu
bedarf es einer willensstarken Person, die mit Initiative an dieses schwierige
Problem geht. Diese Person ist Herr Pastor Habbo Lüpkes aus Dornum. Ihm steht
Landwirt Andreas Janssen aus Dornumergrode tatkräftig zur Seite.
Zunächst wird am 2. April 1947 eine Besprechung eingeleitet, in der sich der Bürgermeister
von Dornum, Herr Johannes Goeman, und die der umliegenden
Orte mit anderen Interessenten zusammenfinden. Unter den Anwesenden zeigt sich
großes Interesse für die Durchführung des Planes. Bürgermeister Goemann hält folgende Voraussetzungen für die Gründung
einer Mittelschule für entscheidend:
-
Das Vorhandensein einer genügenden Kinderzahl, die beabsichtigen, die
Schule zu besuchen.
-
Das Vorhandensein ausreichender Schulräume, zunächst von vier
Klassenräumen.
-
Das Vorhandensein von Wohnungen für die Lehrer der Schule.
-
Die Gründung eines Zweckverbandes, bestehend aus dem Flecken Dornum und
den umliegenden, beteiligten Gemeinden.
Der Punkt 1 scheint im allgemeinen gesichert. Man rechnet sogar mit einer
Überbelegung der Klassen. Für die Punkte 2 und 4 wird ein Ausschuß
gewählt, bestehend aus den Herren:
Pastor Lüpkes, Dornum Lehrer Schienagel, Dornum
Landwirt Ludwig Habben, Buschhaus Landwirt Andreas Janssen, Dornunergrode.
Dieser Ausschuß soll seine vorbereitenden Arbeiten verteilen und folgende
Aufgaben lösen:
1. Die Anschaffung einer
genügend großen, ausbaufähigen Schulbaracke, die zunächst mindestens vier
Klassen enthält. 2. Verhandlungen mit den Bürgermeistern zu führen, die das Ziel haben,
einen Mittelschulzweckverband zu bilden.
Am 27. Mai 1947 wird dieser Plan in einer öffentlichen Versammlung der
Allgemeinheit vorgetragen. In Frage kommt jedoch nur eine private Schule,
die von einem Verein getragen werden muß - in diesem Falle würden es die
Eltern sein - da der Unterhalt einer öffentlichen Mittelschule von der
Kreisverwaltung nicht übernommen wird. Trotzdem findet Herr Pastor Lüpkes
bei seinem Vorhaben regen Zuspruch. Nach gründlicher Beratung mit dem
Oberkreisdirektor und dem Schulrat zu Norden, sowie dem Regierungsschulrat
zu Aurich, wird auch von diesen Herren der Plan einstimmig gutgeheißen. Herr Pastor Lüpkes faßt hierauf den Entschluß, wenn alles in Ordnung geht,
Ostern 1948 den Unterricht mit zunächst zwei Klassen beginnen zu lassen.
Jedes Jahr soll dann die Schule um eine Klasse erweitert werden bis die
volle Klassenzahl von sechs erreicht ist.
Der erste Schritt ist getan, der Entschluß gefaßt; hierauf geht man daran,
schrittweise der riesigen Schwierigkeiten der praktischen Durchführung
Herr zu werden.
Der Landkreis Norden hat sich für nicht imstande erklärt, die geplante
Mittelschule in Dornum finanziell zu unterhalten. Auch von anderer Seite war
dieses abgelehnt worden. Aber das Verantwortungsbewußtsein der Eltern gegenüber
ihren
Kindern ruht nicht. Den Plan, in Dornum eine Mittelschule zu gründen, wieder
fallen zu lassen, scheint plötzlich völlig unmöglich. Deshalb greifen die Eltern
zur Selbsthilfe. Sie schließen sich zu einem Verein zusammen und setzen sich als
Interessengemeinschaft für die Durchführung dieser Aufgabe ein. Natürlich geht man hiermit ein großes Risiko ein. Doch es gelingt! Wenn auch immer wieder
große Schwierigkeiten auftreten und sich barrikadenartig in den Weg schieben, man
schafft es.
Die
Vorbereitungsarbeit
1. Die Schüler für Klasse Vl müssen vorgeschult werden.
Die Anfrage an
Regierungsschulrat Bibow, ob die Schüler der Klasse VI
Vorbereitungsunterricht erhalten müssen, wird bejaht, und zwar in
Englisch. In anderen Fächern (Deutsch und Rechnen) wird es für nicht nötig
gehalten.
Man muß also zunächst versuchen, eine Lehrkraft zu bekommen, die diesen
Englischunterricht erteilt. Nach großen Bemühungen wird erreicht, daß Frl.
Schmidt aus Spetzerfehn am 1. 9. 1947 zu diesem Zweck an die Volksschule
zu Dornum versetzt wird. Durch Eltern einiger Schüler und durch
Mitarbeiter erhält Frl. Schmidt Mittagstisch, da sie nur auf diese
Bedingung hin bereit ist, diese Stelle anzunehmen.
Doch plötzlich ist Frl. Schmidt aus gewissen Gründen gezwungen, Dornum
wieder zu verlassen. Man gibt sich Mühe, zu einer neuen Lehrkraft zu
gelangen. Die einzige, die bereit ist, sich hierfür zur Verfügung zu
stellen, ist der in Ausbildung stehende Lehrer Herr Karl-Heinz Wiechers.
Herr Wiechers muß sich jedoch erst bestimmte Genehmigungen einholen,
diesen schwierigen Anfangsunterricht zu erteilen.
Zweimal in der Woche, und zwar nachmittags, erhalten dann also die
betreffenden Schüler Grundunterricht in Englisch in der Volksschule zu
Dornum.
2. Die Beschaffung eines Schulgebäudes
Man macht zunächst einen Antrag an die Regierung auf eine Holzbaracke.
Doch dieser Versuch schlägt fehl. Die Baracken werden dringend im Moor zur
Unterbringung von Torfarbeitern gebraucht. Man versucht ein zweites Mal,
eine Baracke für die geplante Mittelschule in Dornum zu erhalten, und
zwar in Juist. Aber wieder ohne Erfolg.- Jetzt gibt es nur noch eine
Möglichkeit: Das alte Volksschulgebäude in Dornum! - Endlich eine
Bemühung, die gelingt. Der Schulverband Dornum - Schwittersum stellt das
Gebäude für diesen Zweck zur Verfügung. Bald darauf beginnen die
umfangreichen Arbeiten einer gründlichen baulichen Instandsetzung.

3. Die Herrichtung des Schulgebäudes
Das Gebäude hat lange Zeit leer dagestanden und ist deshalb besonders
reparaturbedürftig. Der Fußboden ist schadhaft, die Fenster müssen
ausgebessert werden und auch das Dach ist stellenweise nicht mehr dicht.
Im Innern des Gebäudes müssen neue Mauern gezogen werden. Außerdem werden
neue Türen benötigt.

Das Kreishochbauamt nimmt von diesem Umstand Kenntnis und stellt fest, daß
folgender Materialaufwand für die Instandsetzung nötig sein wird:
1. 8500 Stück Ziegelsteine
2. 1800 kg Kalk
3. 450 kg Zement
4. 1,50 cbm Holz.
Aber, aber wo hernehmen???

Grundriß des ersten Schulgebäudes
Jetzt tauchen die großen
Materialschwierigkeiten auf. Man muß bedenken, daß wir in einer Zeit der
Nachkriegswirren und Inflation stehen.
Man richtet also Anträge an alle möglichen Stellen und Instanzen, und zwar
auf Zement, Holz, Nägel, Sand, Glas und Kalk. Regierungsbauinspektor Sell
vom Staatshochbauamt in Norden setzt sich sehr bei der Materialbeschaffung
für die werdende Schule ein. Nach großen Bemühungen werden von der
Kreisverwaltung 5000 Steine aus der Trümmerverwertung Emden genehmigt.
3500 neue Steine werden zusätzlich von der Regierung in Aurich bewilligt.
Doch wer holt diese Steine her? Man braucht sie doch in Dornum und nicht
in Emden! Schwierigkeiten über Schwierigkeiten!
Eine neue Frage tritt in den Vordergrund: Wer führt diese Arbeiten aus? In
dieser Zeit findet sich kaum noch jemand bereit, gegen Geldentlöhnung zu
arbeiten! Doch mit einem zähen Willen erreicht man viel. Immer wieder,
wenn auch langsam, erzielt man Fortschritte. - Aber es fehlt immer noch
Material, und auch das „liebe Geld“ will nicht reichen, - wie lange wird
das Geld noch seinen Wert behalten? Bildung und Wissen behalten ihn.-
Eltern! Es geht um die Zukunft Eurer. Kinder!“ Mit diesem Aufruf läßt man
im Juni 1947 eine Sammlung durchführen, um dadurch das Fehlende
auszugleichen. Man bittet dringend die Bevölkerung Dornums und der
Umgebung, in Form von Geld- und Sachspenden (Steine, Zement, Holz, Nägel,
Kalk, Dachziegel) bei der Einrichtung der Mittelschule mitzuhelfen. Und
mit Erfolg. Außer Sachspenden werden etwa 1350,— DM eingenommen, und die
Arbeit kann erfolgreich fortgesetzt werden.
Schließlich sind, nach einem zähen Ringen, zwei Klassenräume und ein
Lehrerzimmer fertig gestellt. Der Unterricht kann beginnen. Was? - Gedacht!
4. Die Schulmöbel
Nordwest-Zeitung vom 22. 8. 1947: “ Die Schule können nur die besuchen,
die einen Stuhl oder einen Tisch, am besten alles beides, mit zum
Unterricht bringen.“ Das schrieb der Direktor einer Oberschule einer
Nordwestdeutschen Großstadt den Eltern. - So also sieht es im Jahre 1947
mit dem deutschen Schulwesen aus. Jeder wird sich vorstellen können, was
das für die Beschaffung von Schulmöbeln (Bänke für 50 Kinder, 2
Wandtafeln, 2 Tische und 2 Schränke) für die Privatmittelschule bedeutet.
Aber auch das Problem wird beseitigt. Hierbei zeigt sich die Volksschule
in Dornum besonders entgegenkommend: Sie stellt der Mittelschule ihre
entbehrlichen Möbel leihweise zur Verfügung.
5. Die Anwerbung von Lehrern
Das
einzige, was in dieser Zeit gut zu bekommen ist, sind die Lehrer. Grund
für diese Tatsache ist der Andrang von Flüchtlingslehrern aus dem Osten.
In vier verschiedenen Zeitungen, im „Amtlichen Schulblatt“, in den
„Amtlichen Nachrichten“, in der „Nordwest – Zeitung“ und in der „Welt“,
läßt man Anzeigen drucken. Aus den vielen Bewerbungen, die daraufhin
eingehen, wählt man drei Lehrkräfte, zwei männliche und eine weibliche.
Aber wo und wie diese Lehrkräfte unterbringen? In einer Zeit der großen
Wohnraumknappheit! Mit Rücksicht und einem guten Willen läßt sich vieles
machen. Auch diese Frage wird gelöst.
6. Die
Anwerbung von Schülern
Am 7.
6. 1947 richtet die Mittelschulkommission ein Schreiben an die Schulen der
auswärtigen Gemeinden mit der Bitte, die Anmeldungen der Kinder
entgegenzunehmen, die beabsichtigen, die Schule zu besuchen. Sie müssen
folgende Auflagen erfüllen:
1. Die Note „gut“ in Deutsch und Rechnen nachweisen können und
2. Der erste Einschulungstermin in die Klasse 1 der Volksschule muß 1942 oder früher sein. In besonderen Fällen können
jedoch auch jene mit Schulbeginn 1943 berücksichtigt werden.

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