Das Jahr

1947/48

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1947                                                                                         1949

An dieser Stelle geht mein besonderer Dank an Herrn Dr. Gerhard Blaschke, der mir gestattet hat, die Daten aus seiner Abschlussarbeit 1953 an der Mittelschule Dornum zum Thema  "Die Privatmittelschule Dornum"  zu verwenden.
 


Aquarell: Gerhard Blaschke


Immer lauter wird im deutschen Bundesgebiet der Ruf nach Mittelschulen. Man fordert, statt der 550 vorhandenen mindestens doppelt soviel einzurichten. Tausende, die von 2220 höheren Schulen des Bundesgebietes kommen, warten vergeblich vor den Hörsälen der Universitäten; während die Absolventen der Mittelschulen ausnahmslos in Betrieben untergebracht werden können. Auch der niedersächsische Landtag ist der Ansicht, daß es entschieden zu viel höhere, dagegen zu wenig Mittelschulen gibt. Der Überhang an höheren Schulen bringt es mit sich, daß viele Eltern ihre Kinder einer Schulbildung zuführen, die ihren Berufsaussichten und -absichten nicht entspricht. Die Mittelschule aber steht als eine selbständige Schulart zwischen Volksschule und höherer Schule und trägt auch eigenen Charakter. Als breite Mittlerschaft steht sie zwischen dem theoretischen Planen einerseits und dem praktischen Ausführen andrerseits. Sie verbindet erhöhte Leistungen mit geringen Kosten und entspricht einem dringen Bedürfnis des Kultur- und Wirtschaftslebens. Dieses ist ein Grund, weshalb in Dornum der Gedanke lebt, einer Mittelschule Bahn zu brechen.

Ein anderer und wichtigerer Grund wird durch die Lage des Ortes hervorgerufen. Der Flecken Dornum ist von seiner Kreisstadt Norden - sie besitzt eine Mittelschule - fast 20 km entfernt, von der Mittelschulstadt Esens etwa 15 km. Ein Schüler aus Dornum wird nun z.B. zur Mittelschule nach Norden (Gräfin – Theda - Schule) geschickt. Um 6.15 Uhr etwa fährt sein Zug. Das heißt, er muß, wenn er sich nicht abhetzen will, um 5.00 Uhr aufstehen. In Norden angekommen, wartet er bis zum Schulbeginn. Die Schule ist aus. Wiederum eine Stunde Wartezeit bis zur Abfahrt des Zuges.
Endlich, frühestens um 15.30 Uhr, ist er wieder zu Hause. Das bedeutet: Erstens verspätetes Mittagessen! Dann soll der Schüler noch Kraft und Energie für die Erledigung seiner Schulaufgaben besitzen.

Dieser Fall wird doppelt schwierig, wenn wir ihn auf die Bewohner der Deichdörfer (Dornumergrode, Dornumersiel, Westeraccumersiel, Neßmergrode, Neßmersiel) beziehen. Bedenken wir die Anfahrt bis zur Bahnstation nach Dornum, die fast ausschließlich mit dem Fahrrad oder im Winter gar zu Fuß gemacht werden muß! Und dieses noch bei schlechtem Wetter! Wenn dabei die Schuljugend nichts an geistiger und körperlicher Schaffenskraft einbüßt, so ist das ein Wunder.

Ein weiterer, vielleicht der wesentliche Grund für die Gründung einer Mittelschule in Dornum ist, den Schulbesuch für begabte Schüler aus Kreisen der Flüchtlinge und Minderbemittelten zu ermöglichen. Denn wie viele Eltern gibt es, die ihren Kindern gern eine weiterführende Schulausbildung zuteil werden lassen möchten, aber die Preise für die Schülerfahrten nicht bezahlen können.

Außerdem will man versuchen, der Landflucht der Jugend auf vorbildliche Weise entgegenzutreten, und die überfüllten Norder Schulen entlasten.

Dieses alles sind bestimmt Voraussetzungen, welche die Existenz einer Mittelschule in Dornum voll berechtigen. Die Notwendigkeit einer Mittelschule scheint den meisten auch einzuleuchten. Es ist sogar der dringende Wunsch vieler Eltern und Erzieher, daß die Möglichkeit einer weiterführenden Schulbildung in Dornum geschaffen werde.

Jetzt kommt es nur darauf an, wer diesen Gedanken in die Tat umsetzt. Dazu bedarf es einer willensstarken Person, die mit Initiative an dieses schwierige Problem geht. Diese Person ist Herr Pastor Habbo Lüpkes aus Dornum. Ihm steht Landwirt Andreas Janssen aus Dornumergrode tatkräftig zur Seite.

Zunächst wird am 2. April 1947 eine Besprechung eingeleitet, in der sich der Bürgermeister von Dornum, Herr Johannes Goeman, und die der umliegenden Orte mit anderen Interessenten zusammenfinden. Unter den Anwesenden zeigt sich großes Interesse für die Durchführung des Planes. Bürgermeister Goemann hält folgende Voraussetzungen für die Gründung einer Mittelschule für entscheidend:

  1. Das Vorhandensein einer genügenden Kinderzahl, die beabsichtigen, die Schule zu besuchen.

  2. Das Vorhandensein ausreichender Schulräume, zunächst von vier Klassenräumen.

  3. Das Vorhandensein von Wohnungen für die Lehrer der Schule.

  4. Die Gründung eines Zweckverbandes, bestehend aus dem Flecken Dornum und den umliegenden, beteiligten Gemeinden.

Der Punkt 1 scheint im allgemeinen gesichert. Man rechnet sogar mit einer Überbelegung der Klassen. Für die Punkte 2 und 4 wird ein Ausschuß gewählt, bestehend aus den Herren:

Pastor Lüpkes, Dornum
Lehrer Schienagel, Dornum
Landwirt Ludwig Habben, Buschhaus
Landwirt Andreas Janssen, Dornunergrode.

Dieser Ausschuß soll seine vorbereitenden Arbeiten verteilen und folgende Aufgaben lösen:

1. Die Anschaffung einer genügend großen, ausbaufähigen Schulbaracke, die zunächst mindestens vier Klassen enthält.
2. Verhandlungen mit den Bürgermeistern zu führen, die das Ziel haben, einen Mittelschulzweckverband zu bilden.

Am 27. Mai 1947 wird dieser Plan in einer öffentlichen Versammlung der Allgemeinheit vorgetragen. In Frage kommt jedoch nur eine private Schule, die von einem Verein getragen werden muß - in diesem Falle würden es die Eltern sein - da der Unterhalt einer öffentlichen Mittelschule von der Kreisverwaltung nicht übernommen wird. Trotzdem findet Herr Pastor Lüpkes bei seinem Vorhaben regen Zuspruch. Nach gründlicher Beratung mit dem Oberkreisdirektor und dem Schulrat zu Norden, sowie dem Regierungsschulrat zu Aurich, wird auch von diesen Herren der Plan einstimmig gutgeheißen.
Herr Pastor Lüpkes faßt hierauf den Entschluß, wenn alles in Ordnung geht, Ostern 1948 den Unterricht mit zunächst zwei Klassen beginnen zu lassen. Jedes Jahr soll dann die Schule um eine Klasse erweitert werden bis die volle Klassenzahl von sechs erreicht ist.

Der erste Schritt ist getan, der Entschluß gefaßt; hierauf geht man daran, schrittweise der riesigen Schwierigkeiten der praktischen Durchführung Herr zu werden.

Der Landkreis Norden hat sich für nicht imstande erklärt, die geplante Mittelschule in Dornum finanziell zu unterhalten. Auch von anderer Seite war dieses abgelehnt worden. Aber das Verantwortungsbewußtsein der Eltern gegenüber ihren Kindern ruht nicht. Den Plan, in Dornum eine Mittelschule zu gründen, wieder fallen zu lassen, scheint plötzlich völlig unmöglich. Deshalb greifen die Eltern zur Selbsthilfe. Sie schließen sich zu einem Verein zusammen und setzen sich als Interessengemeinschaft für die Durchführung dieser Aufgabe ein. Natürlich geht man hiermit ein großes Risiko ein. Doch es gelingt! Wenn auch immer wieder große Schwierigkeiten auftreten und sich barrikadenartig in den Weg schieben, man schafft es.


Die Vorbereitungsarbeit

1. Die Schüler für Klasse Vl müssen vorgeschult werden.

Die Anfrage an Regierungsschulrat Bibow, ob die Schüler der Klasse VI Vorbereitungsunterricht erhalten müssen, wird bejaht, und zwar in Englisch. In anderen Fächern (Deutsch und Rechnen) wird es für nicht nötig gehalten.

Man muß also zunächst versuchen, eine Lehrkraft zu bekommen, die diesen Englischunterricht erteilt. Nach großen Bemühungen wird erreicht, daß Frl. Schmidt aus Spetzerfehn am 1. 9. 1947 zu diesem Zweck an die Volksschule zu Dornum versetzt wird. Durch Eltern einiger Schüler und durch Mitarbeiter erhält Frl. Schmidt Mittagstisch, da sie nur auf diese Bedingung hin bereit ist, diese Stelle anzunehmen. Doch plötzlich ist Frl. Schmidt aus gewissen Gründen gezwungen, Dornum wieder zu verlassen. Man gibt sich Mühe, zu einer neuen Lehrkraft zu gelangen. Die einzige, die bereit ist, sich hierfür zur Verfügung zu stellen, ist der in Ausbildung stehende Lehrer Herr Karl-Heinz Wiechers. Herr Wiechers muß sich jedoch erst bestimmte Genehmigungen einholen, diesen schwierigen Anfangsunterricht zu erteilen. Zweimal in der Woche, und zwar nachmittags, erhalten dann also die betreffenden Schüler Grundunterricht in Englisch in der Volksschule zu Dornum.


2. Die Beschaffung eines Schulgebäudes


Man macht zunächst einen Antrag an die Regierung auf eine Holzbaracke. Doch dieser Versuch schlägt fehl. Die Baracken werden dringend im Moor zur Unterbringung von Torfarbeitern gebraucht. Man versucht ein zweites Mal, eine Baracke für die geplante Mittelschule in Dornum zu erhalten, und zwar in Juist. Aber wieder ohne Erfolg.- Jetzt gibt es nur noch eine Möglichkeit: Das alte Volksschulgebäude in Dornum! - Endlich eine Bemühung, die gelingt. Der Schulverband Dornum - Schwittersum stellt das Gebäude für diesen Zweck zur Verfügung. Bald darauf beginnen die umfangreichen Arbeiten einer gründlichen baulichen Instandsetzung.

 




3. Die Herrichtung des Schulgebäudes


Das Gebäude hat lange Zeit leer dagestanden und ist deshalb besonders reparaturbedürftig. Der Fußboden ist schadhaft, die Fenster müssen ausgebessert werden und auch das Dach ist stellenweise nicht mehr dicht. Im Innern des Gebäudes müssen neue Mauern gezogen werden. Außerdem werden neue Türen benötigt.



Das Kreishochbauamt nimmt von diesem Umstand Kenntnis und stellt fest, daß folgender Materialaufwand für die Instandsetzung nötig sein wird:

1.  8500 Stück Ziegelsteine
2.  1800 kg Kalk
3.  450 kg Zement
4.  1,50 cbm Holz.

Aber, aber wo hernehmen???



Grundriß des ersten Schulgebäudes


Jetzt tauchen die großen Materialschwierigkeiten auf. Man muß bedenken, daß wir in einer Zeit der Nachkriegswirren und Inflation stehen. Man richtet also Anträge an alle möglichen Stellen und Instanzen, und zwar auf Zement, Holz, Nägel, Sand, Glas und Kalk. Regierungsbauinspektor Sell vom Staatshochbauamt in Norden setzt sich sehr bei der Materialbeschaffung für die werdende Schule ein. Nach großen Bemühungen werden von der Kreisverwaltung 5000 Steine aus der Trümmerverwertung Emden genehmigt. 3500 neue Steine werden zusätzlich von der Regierung in Aurich bewilligt. Doch wer holt diese Steine her? Man braucht sie doch in Dornum und nicht in Emden! Schwierigkeiten über Schwierigkeiten!

Eine neue Frage tritt in den Vordergrund: Wer führt diese Arbeiten aus? In dieser Zeit findet sich kaum noch jemand bereit, gegen Geldentlöhnung zu arbeiten! Doch mit einem zähen Willen erreicht man viel. Immer wieder, wenn auch langsam, erzielt man Fortschritte. - Aber es fehlt immer noch Material, und auch das „liebe Geld“ will nicht reichen, - wie lange wird das Geld noch seinen Wert behalten? Bildung und Wissen behalten ihn.-

Eltern! Es geht um die Zukunft Eurer. Kinder!“ Mit diesem Aufruf läßt man im Juni 1947 eine Sammlung durchführen, um dadurch das Fehlende auszugleichen. Man bittet dringend die Bevölkerung Dornums und der Umgebung, in Form von Geld- und Sachspenden (Steine, Zement, Holz, Nägel, Kalk, Dachziegel) bei der Einrichtung der Mittelschule mitzuhelfen. Und mit Erfolg. Außer Sachspenden werden etwa 1350,— DM eingenommen, und die Arbeit kann erfolgreich fortgesetzt werden.

Schließlich sind, nach einem zähen Ringen, zwei Klassenräume und ein Lehrerzimmer fertig gestellt. Der Unterricht kann beginnen. Was? - Gedacht!


4. Die Schulmöbel


Nordwest-Zeitung vom 22. 8. 1947: “ Die Schule können nur die besuchen, die einen Stuhl oder einen Tisch, am besten alles beides, mit zum Unterricht bringen.“ Das schrieb der Direktor einer Oberschule einer Nordwestdeutschen Großstadt den Eltern. - So also sieht es im Jahre 1947 mit dem deutschen Schulwesen aus. Jeder wird sich vorstellen können, was das für die Beschaffung von Schulmöbeln (Bänke für 50 Kinder, 2 Wandtafeln, 2 Tische und 2 Schränke) für die Privatmittelschule bedeutet. Aber auch das Problem wird beseitigt. Hierbei zeigt sich die Volksschule in Dornum besonders entgegenkommend: Sie stellt der Mittelschule ihre entbehrli­chen Möbel leihweise zur Verfügung.



5.  Die Anwerbung von Lehrern

Das einzige, was in dieser Zeit gut zu bekommen ist, sind die Lehrer. Grund für diese Tatsache ist der Andrang von Flüchtlingslehrern aus dem Osten. In vier verschiedenen Zeitungen, im „Amtlichen Schulblatt“, in den „Amtlichen Nachrichten“, in der „Nordwest – Zeitung“ und in der „Welt“, läßt man Anzeigen drucken. Aus den vielen Bewerbungen, die daraufhin eingehen, wählt man drei Lehrkräfte, zwei männliche und eine weibliche.
Aber wo und wie diese Lehrkräfte unterbringen? In einer Zeit der großen Wohnraumknappheit! Mit Rücksicht und einem guten Willen läßt sich vieles machen. Auch diese Frage wird gelöst.



6. Die Anwerbung von Schülern

Am 7. 6. 1947 richtet die Mittelschulkommission ein Schreiben an die Schulen der auswärtigen Gemeinden mit der Bitte, die Anmeldungen der Kinder entgegenzunehmen, die beabsichtigen, die Schule zu besuchen. Sie müssen folgende Auflagen erfüllen:

1. Die Note „gut“ in Deutsch und Rechnen nachweisen können und

2. Der erste Einschulungstermin in die Klasse 1 der Volksschule muß 1942 oder früher sein. In besonderen Fällen können jedoch auch jene mit Schulbeginn 1943 berücksichtigt werden.


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